Ausgrenzung, Deportationen, Massenmord: Ohne die Mittäterschaft breiter Gesellschaftsteile wären Nationalsozialismus und Holocaust so nicht möglich gewesen. Die vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. (USHMM) entwickelte Wanderausstellung Einige waren Nachbarnbeleuchtet die Rolle ‚gewöhnlicher Menschen‘ im Holocaust. Mit einem niedrigschwelligen Bildungsangebot zur Ausstellung wollen der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster und die NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer in Krefeld gemeinsam mit dem USHMM nun besonders Jugendliche mit unterschiedlichen Hintergründen und Lernanforderungen erreichen und für Themen wie Antidiskriminierung und Menschenrechte sensibilisieren. Gefördert wird das transnationale Kooperationsprojekt durch die Landeszentrale für politische Bildung (LpB NRW) im Ministerium für Kultur und Wissenschaft.

Die Wanderausstellung „Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“ wurde 2019 im Deutschen Bundestag gezeigt. Seitdem koordiniert die Villa ten Hompel als Kooperationspartner des USHMM die Präsentation an zahlreichen Orten in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus erarbeitet der Münsteraner Geschichtsort gemeinsam mit der Gedenkstätte in Krefeld und dem USHMM ausstellungsbegleitende Vermittlungsformate und vertieft damit die transatlantische Kooperation in der Bildungs- und Erinnerungsarbeit.

„Das United States Holocaust Memorial Museum und der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster arbeiten seit vielen Jahren bei verschiedenen Projekten zur Förderung der Holocaust-Forschung, -Erinnerung und -Erziehung eng zusammen“, sagt Tad Stahnke, Direktor für internationale Bildungsprogramme im Holocaust Museum. „Unsere transatlantische Partnerschaft basiert auf Vertrauen, regelmäßigem Austausch und einem Verständnis dafür, wie wir noch effektiver zusammenarbeiten können. Die Villa ten Hompel hat die USHMM-Wanderausstellung ;Einige waren Nachbarn‘, die sich mit den Entscheidungen ganz normaler Menschen während des Holocausts beschäftigt, in mehr als 20 Museen, Gedenkstätten und Archiven in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Wir haben gemeinsam neue pädagogische Ansätze und Tutorials entwickelt, einschließlich der Unterstützung für barrierefreies Lernen. Wir freuen uns darauf, unsere einzigartige Beziehung auszubauen und weiterhin von- und miteinander zu lernen.“
sliderimage-Jugendliche besuchen die Ausstellung „Einige waren Nachbarn“ in der Bezirksregierung Münster (Bildquelle: Villa ten Hompel)
Jugendliche besuchen die Ausstellung „Einige waren Nachbarn“ in der Bezirksregierung Münster (Bildquelle: Villa ten Hompel)

Im Mittelpunkt der Ausstellung „Einige waren Nachbarn“ stehen nicht führende Nationalsozialisten oder Strukturen des NS-Verfolgungsapparats, sondern die Verhaltensweisen und Handlungsoptionen der Zivilbevölkerung. Es geht um ‚gewöhnliche Menschen‘, die aktiv an NS-Verbrechen mitwirkten, die tatenlos zuschauten, die vereinzelt aber auch Widerstand leisteten. Historische Fotoaufnahmen in der Ausstellung zeigen, wie sie auf Demütigung, Ausgrenzung und Verfolgung ihrer jüdischen Klassenkameraden, Kollegen, Nachbarn und Freunde reagierten.

Damit wirft die Ausstellung die Frage nach Handlungsspielräumen und individueller Verantwortung auf – eine Kernfrage der historisch-politischen Bildung, die auch heute von großer Relevanz ist und insbesondere in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen eine bedeutende Rolle spielt. Um möglichst viele junge Menschen mit den Inhalten der Ausstellung zu erreichen, werden begleitende Vermittlungsformate für unterschiedliche Zielgruppen und Bedürfnisse entwickelt.

Rückmeldungen zu bereits bestehenden Angeboten wie Workshops und Geschichtsrundgängen haben gezeigt, dass lokale Anknüpfungspunkte – etwa historische Schauplätze von NS-Verfolgung am Wohnort der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – einen leichteren Zugang zur Thematik der Ausstellung bieten. Zu begleitenden pädagogischen Konzepten auf lokaler und regionaler Ebene haben der Geschichtsort Villa ten Hompel und die NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer im Austausch mit dem USHMM daher bereits 2023 eine Handreichung und Video-Tutorials für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren entwickelt – gefördert durch die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen.

Mit dem aktuellen Folgeprojekt knüpfen die Gedenkstätten aus Münster und Krefeld daran an und reagieren auf den landes- und bundesweiten Bedarf an niedrigschwelligen und inklusiven Vermittlungsformaten in der Bildungs- und Erinnerungsarbeit: „Auffallend ist, dass die meisten Bildungsangebote zu ‚Einige waren Nachbarn‘ bisher von Schulklassen aus Gymnasien und Gesamtschulen genutzt wurden. Unser Ziel ist es aber, Angebote für alle Bildungsniveaus und Hintergründe zu schaffen – in den pädagogischen Formaten zu ‚Einige waren Nachbarn‘ und auch grundsätzlich in der Vermittlungsarbeit von Gedenkstätten“, erklärt Thomas Köhler, der seitens der Villa ten Hompel die Kooperation mit dem USHMM seit 2018 koordiniert. „So beobachten wir bei Lehrerinnen und Lehrern an Förderschulen Hemmungen, mit ihren Schülerinnen und Schülern Geschichtsorte zu besuchen, weil ihnen die Vermittlungsformate dort zu komplex erscheinen. Hier wollen wir Hürden abbauen und die Bildungsangebote inhaltlich, sprachlich und gestalterisch an unterschiedliche Bedürfnisse anpassen“, betont Kim Sommerer, die das NRW-USA-Projekt in der Villa ten Hompel wissenschaftlich verantwortet.

Befragungen in Schulen bilden nun den Ausgangspunkt für die Entwicklung von Lernmitteln, die auf verschiedene Förder- und Interessensschwerpunkte reagieren und Zugänge zu historisch wie aktuell relevanten Themen wie Ausgrenzung und Verfolgung, Bereicherung, aber auch Hilfe und Widerständigkeit bieten. Angesprochen werden sollen junge Menschen, die etwa aufgrund von Lernschwierigkeiten oder Sprachbarrieren mit den bisher existierenden pädagogischen Materialien nur schlecht erreicht werden. Geplant sind Ausstellungsrucksäcke, gefüllt mit Lernmitteln wie beispielsweise Piktogramm- und Erklärkarten. Es geht aber auch um gemeinschaftsstiftende Elemente, die Wertschätzung vermitteln sollen, etwa wenn die Jugendlichen die Ausstellung vor Ort in einer Schule zusammen aufbauen.

Die Entwicklung der Bildungsmaterialien findet in Zusammenarbeit mit dem USHMM als Kooperationspartner und Urheber der Ausstellung statt – sowohl digital als auch in der direkten Begegnung vor Ort. Im Oktober wird das Projektteam aus Nordrhein-Westfalen nach Washington reisen, um sich mit den Kolleginnen und Kollegen des USHMM auszutauschen und Einblicke in dortige Lernsituationen und Holocaust Education zu gewinnen. So fließen immer mehr Forschungsansätze, den Holocaust aus internationaler Perspektive zu betrachten, in die didaktische Arbeit mit ein.

Ziel ist die Entwicklung eines inklusiven didaktischen Konzepts, dessen Methodik auch auf bestehende und zukünftige Bildungsprogramme in Gedenkstätten und Geschichtsorten in NRW mit ihren jeweiligen örtlichen Spezifika übertragen werden kann. Anfang 2025 sollen die barrierearmen Lernmittel zu „Einige waren Nachbarn“ an Schulen in Nordrhein-Westfalen erprobt werden.

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Pädagogische Arbeit mit der Ausstellung (Bildquelle: Villa ten Hompel)

Zur Kooperation der Villa ten Hompel mit dem USHMM

Der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster ist seit 2018 offizieller Kooperationspartner des United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. (USHMM). 2023 hat das USHMM den Münsteraner Geschichtsort mit dem Elie-Wiesel-Award ausgezeichnet. Der Award ist die höchste Auszeichnung des USHMM und ging letztes Jahr gemeinschaftlich an die internationalen Partner des Museums, die die Erinnerung an den Holocaust aktiv voranbringen, gegen Hass und Antisemitismus eintreten und großes Engagement für Demokratie und Menschlichkeit zeigen. Ein aktuelles Beispiel für die transatlantische Kooperation ist neben dem „Einige waren Nachbarn“-Projekt auch der internationale Sammelband „Polizei und Holocaust. Ein Vierteljahrhundert nach Christopher Brownings Ordinary Men“, den Thomas Köhler und Peter Römer von der Villa ten Hompel gemeinsam mit Jürgen Matthäus vom USHMM und Thomas Pegelow-Kaplan von der University of Chicago herausgegeben haben.

sliderimage-Thomas Köhler von der Villa ten Hompel (links) zusammen mit der Vizedirektorin des United States Holocaust Memorial Museum Sarah Ogilvie und Klaus Mueller, Europa-Repräsentant des Museums, bei der Verleihung des Elie Wiesel Awards (Bildquelle: Villa ten Hompel)
Thomas Köhler von der Villa ten Hompel (links) zusammen mit der Vizedirektorin des United States Holocaust Memorial Museum Sarah Ogilvie und Klaus Mueller, Europa-Repräsentant des Museums, bei der Verleihung des Elie Wiesel Awards (Bildquelle: Villa ten Hompel)
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